Vorherrschaft der Frau? – Weibliche Darstellungen der Altsteinzeit

Viele kennen die Venus vom Hohle Fels, nicht ganz so viele kennen Frau Dr. Sybille Wolf, Archäologin der Abteilung Ältere Urgeschichte (Universität Tübingen). Sie ist nicht nur eine großartige Spezialistin für die Höhlenfunde auf der Schwäbischen Alb, sondern eine ausgewiesene Kennerin für jegliche Funde aus Mammutelfenbein. So kam sie auch nicht mit leeren Händen am 20.11.2018 zu uns in die Aula, sondern hatte viele Repliken von weiblichen Figurinen dabei. Man konnte staunend sehen und fühlen, dass die Menschen vor ca. 40.000 bis 15.000 Jahren vor heute nicht nur mit dem reinen Überleben beschäftigt gewesen waren. Kunstvoll verzierte Frisuren oder Kopfbedeckungen, Schraffuren und liebevoll ausgestaltete Details waren sehr gut zu erkennen. Weibliche Figuren, welche laut Wolf in deutlich höherer Zahl als männliche Darstellungen gefunden wurden, faszinieren seit jeher die Betrachter. Solche Figuren wurden europaweit ausgegraben.

Vortrag von Frau Dr. Wolf Figürliche Darstellungen aus der Altsteinzeit

Wolf konnte anhand vieler Abbildungen eindrucksvoll zeigen, wie die unterschiedlichen Fundorte ihre eigenen Charakteristika aufweisen. Viele der Figurinen zeichnen sich durch sehr große Brüste, breite Hüften, ein großes Gesäß und eine plastisch dargestellte Vulva aus. Sie lassen uns heute rätseln, ob vielleicht Göttinnen dargestellt wurden oder ob es gar Pin-Up-Girls waren, die die Krieger mit auf die Jagd nahmen. Neben den spektakulären Funden vor unserer Haustür (z.B. die Höhlen Hohle Fels, Geißenklösterle, Hohlenstein-Stadel und Vogelherd) verwies Wolf auch auf andere berühmte Fundorte in Österreich (Willendorf), Frankreich (Rideaux-Höhle) oder Tschechien. Auch wenn es eine Bandbreite an Ausgestaltungen gibt, so zieht sich die Frau ohne Kopf und ohne ausgestaltete Beine durch die gesamte Zeit. Als seriöse Wissenschaftlerin verwahrte sich Wolf davor, irgendwelche Spekulationen zu vertreten, aber sie betonte, dass diese Kunstwerke als eine besondere Wertschätzung und Faszination der Frau gegenüber gesehen werden können. Als Lebensspenderin war das Überleben der Frau und ihrer Kinder für den Fortbestand der Sippe entscheidend. Ob sie eine Vorrangstellung gegenüber dem Mann besaß, lässt sich nicht einfach ableiten. Und so lässt sich auch nicht begründet von einer Vorherrschaft der Frau sprechen.

Frau Dr. Wolf Frau Dr. Wolf

Neben solchen Überlegungen nahm Wolf die Zuhörinnen und Zuhörer mit in die praktische Arbeit der Archäologie. Wie akribisch hier heutzutage vorgegangen wird, um auch kleinste Bestandteile einer Figur aufzufinden, zeigte sie am Beispiel des ebenfalls sehr berühmten Löwenmannes vom Hohlenstein-Stadel im Lonetal. Seine Entdeckung kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges war hektisch und mit sehr groben Methoden durchgeführt worden. Der Aushub blieb in der Höhle zurück. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis die anfänglichen 260 Elfenbeinsplitter und weitere Teile, die später noch gefunden wurden, so zusammengesetzt werden konnten, dass man 2013 den Löwenmann, wie wir ihn heute kennen, zeigen konnte. Herr Rechentin und Frau Dr. Wolf Lange hatte man nicht gewusst, ob die Figur ein männliches oder weibliches Mischwesen darstellen sollte. Neuere Erkenntnisse lassen aber deutlich auf eine männliche Darstellung schließen.

Wir ahnen anhand dieser uralten Figuren, dass der moderne Mensch, der ca. 45.000 Jahre vor heute während der letzten Eiszeit vermutlich über den Donaukorridor nach Europa kam, bereits einen Sinn für Dinge hatte, die über den Bedarf des alltäglichen Lebens hinausgingen. Viele der oftmals nur wenige Zentimeter großen Gegenstände hatten Ösen und waren wohl um den Hals getragen worden. Als Amulette? Als Schmuckstücke? Wir wissen es zwar nicht, aber Wissenschaftler wie Frau Dr. Wolf helfen uns staunend und voller Faszination Einblicke in die Anfänge unserer Menschheitsgeschichte zu bekommen. Wir danken ihr dafür.

Hohle Fels bei Schelklingen, Frauenfigur aus Mammutelfenbein Hohle Fels bei Schelklingen, Frauenfigur aus Mammutelfenbein
Foto: H. Jensen, Universität Tübingen

















Petersfels bei Engen, abstrakte Frauenfiguren aus Gagat Petersfels bei Engen, abstrakte Frauenfiguren aus Gagat
Foto: Y. Mühleis, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart

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  • Zuletzt geändert: 2021/09/19 19:41
  • von Matthias Friederichs